Ich schreibe diesen Artikel ganz bewusst, da ich in meiner Tätigkeit als Hundeverhaltensberater permanent mit Leinenführigkeit konfrontiert werde.
Ob auf Recherche bei Kollegen, in meinem Umfeld oder von Kunden und Hundehaltern.
Dabei halte ich persönlich gar nicht so viel davon. Vielmehr ist wichtig, unseren Hunden auf jedem Spaziergang die Chance zu geben und uns zu beweisen, daß wir uns gegenseitig vertrauen können.
Meine erste Hündin Cookie, ein australien Shepherd, ging bei mir ausschließlich nur dann an der Leine, wenn wir im Straßenverkehr oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs waren.. Sonst NIE!
Ich hatte ihr von Anfang an die Möglichkeit gegeben, jeden Tag wieder als sie noch ein Welpe oder Jundhund war, mir zu beweisen, daß sie bei mir bleibt. Ich habe ihr Tag für Tag die Chance erneut gegeben nicht abzuhauen oder etwas zu jagen. Sie bekam jeden Tag erneut mein Vertrauen, es gut und richtig zu machen, bei mir zu bleiben und MIT mir den Spaziergang zu erleben. Und Ihr werdet es kaum glauben, wie sehr und oft Hunde, wenn sie nicht an der Leine sind, Kontakt aufnehmen und "nachfragen". Oft bleiben sie sogar sehr gerne in Deiner Nähe.
Hätte ich sie von Anfang ausschließlich an der kurzen Leine gehabt, bis sie endlich bei Fuß geht, wäre das für uns beide nicht sehr schön gewesen. Und ja, sie hat bis zum Ende Ihrer Tage, ausgenommen der letzten zwei Monate als sie Blutkrebs hatte, an der Leine gezogen.
Versetzt Euch bitte mal in so ein kleines Kraftpaket oder Full-Permanent-Power-Knäuel hinein...
Ihr kommt nach acht Stunden Arbeit nach Hause, Euer Hund freut sich so verdammt riesig Euch wieder zu sehen! Ok, raufspringen darf er mal garnicht, denn das wäre ja Rüpelhaft oder pöbelnd... So jetzt noch schnell ein Kaffee und dann gehts raus mit dem Wauzi. Aber hey, er muss schön sitzen bevor die Leine angebracht wird. Endlich raus bei der Tür gehen wir noch 17 mal auf und ab und hin und her, bis der Hund auf uns achtet und sein Umfeld, seinen Geruchssinn und seine Instinkte abschaltet.
Da wir ziehmlich genervt vom ganzen Tag sind, muss der Hund nun brav neben uns an der Leine laufen und darf nicht ziehen, nicht zu lange stehen bleiben. Er soll einfach nur ein perfekter Hunderoboter sein.
Was denken die Nachbarn, geschweige denn andere Hundehalter, wenn mein Hund Spaß haben möchte?
Was würden Sie denken, wenn ich ihm Spass gönne?
Was wäre so schlimm daran, mit ihm seine Freude, ohne ihm Befehle und Kommandos zu geben, teilen würde?
Wir gehen tagtäglich, oft mehrmals, besonders diejenigen die in Wohnungen leben, mit unseren Hunden Gassi. Warum machen wir das? Damit die Hunde dann willenlos neben uns herlaufen? Damit ausschließlich wir bestimmen wo, wann und wielange gerochen werden darf? Damit wir, wenn wir anderen Hundehaltern begegnen jedesmal einen großen Bogen um sie machen müssen?
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich sehr viel in der Hundehaltung und dem Alltag mit unseren Hunden geändert. Früher hatte man wirklich Freude daran jemand anderem mit Hund zu begegnen. Man freute sich für den eigenen Hund, daß er mit einem Artgenossen spielen konnte! Die, damals noch Besitzer genannt, wussten sofort, ob es zwischen den zwei Wauzis klappt oder nicht.
Heute geht sich jeder aus dem Weg!
Früher wurde man nur von Nicht-Hundehaltern angefuckt, wenn Dein Hund nicht an der Leine war - heute ist es auch "innergemeinschaftlich" ganz normal gerügt zu werden. Jeder hat Angst, niemand hat mehr ein Gespür. Die zwischenmenschliche Abneigung ist so groß geworden, daß wir andere Hundehalter nicht mehr tolerieren.
Und unsere Hunde spüren das mehr als uns bewußt ist!
Die Leinenaggressionen unter Hunden nimmt immer mehr zu. Nicht wiel die Hunde von Grund auf böser werden, sondern weil sich die Hundehalter immer weniger begegnen möchten!
Wenn sich Dein Hund an der kurzen Leine jedesmal aufführt wie ein Berserker, warum dann nicht mal mit einer langen Leine versuchen, anstatt ihn permanent maßregeln zu müssen? Das frustriert Hund und Halter, und jeder Spaziergang wird zum Spießrutenlauf und am Ende gab es nur schlechte Erlebnisse ohne jede Freude.
Die Diskussionen sind weit gestreut, ob man den Hund mit Halsband, Geschirr oder Halti besser zum Roboter macht. Ich sage, es ist sowas von wurscht was man nimmt...nur bitte kein Halti!!!
Dies darf aufgrund der Verletzungsgefahr ausschließlich unter Anweisung benutzt werden, und auch dann nur in kurzen Sequenzen.
Kein Trainer wird Dir erzählen, da er es wahrscheinlich nicht weiß oder nicht daran denkt, dass das Halti auf Zug, das gesamte Gesicht und somit auch die Mimik für andere Hunde unkenntlich macht, und somit zu einer unvorhersehbarkeit führt. Dies bedeutet: vorsichtshalbe Verteidigung vorprogrammiert!
Und wir Alle wissen, wenn uns wer angeht, geben wir zurück.
So geht es auch unseren Hunden. Sie gehen einzig und allein Ihrem Instinkt nach. Denn wenn Hannibal Lector vor Dir steht hast Du entweder Angst oder willst ihn töten...
Wo wir auch wieder beim Gassi-Gang wären....
In unserer perfekt angestrebten Welt müssen unsere Hunde nahezu besser funktionieren, als wir es selbst tun. Wir erwarten von einem Instinktgesteuertem Raubtier, dass es neben uns her latscht, völlig Sinnfrei und teilnahmslos. Warum glauben wir dies erreichen zu müssen?
Es ist völlig richtig, daß ich einen jagdgetriebenen Hund nicht einfach frei in den Wald schicke und Wild reißen lasse, ich lasse auch keinen Hund, der jeden anderen Hund töten will oder auf Menschen losgeht einfach so in der Gegend umher laufen und auf seine Opfer lauern.
ABER: Ich muss jedem Hund immer wieder eine Chance geben, mir zu beweisen, dass er auch ohne Leine kann! Dann halt mit Beißkorb oder Schleppleine. Aber regelmäßig und immer wieder frei. Denn glaubt es oder nicht, aber Euer Hund wird, mit der Zeit, von selbst lieber bei Euch bleiben wenn er unsicher wird.
Es geht eben nicht darum, ob unser Hund an der Leine super funktioniert, sondern ihm die Möglichkeit zu geben Hund zu sein. Es geht darum gegenseitig Vertrauen aufzubauen. Und das funktioniert nur, wenn man sich als Mensch-Hund-Team die Gelegenheit dazu gibt.
Das ist wie wenn man einen Beruf lernt. Wenn Dir Dein Lehrherr oder Professor nicht immer wieder die Chance gegeben hätte es besser zu machen, würdest du immer noch den Boden wischen oder Bücher von A-Z sortieren.
Glaubt an Euch und glaubt an Eure Hunde!
Gebt Euren Hunden mehr Raum, in Form einer längeren Leine, wenn sie diesen benötigen.
Und merkt Euch: Eure Hunde dürfen andere Hunde nicht mögen!
Deswegen ist er noch lange nicht aggressiv.
Ändert Eure Vertrauensbasis indem Ihr Vertrauen schenkt und immer wieder Chancen gebt. Nur so werdet Ihr einestages zufrieden über Wiesen, durch Wälder, an Stränden und irgendwann auf Gehsteigen ohne Leine mit einem breiten Grinsen im Gesicht spazieren.
© Hoof & Paw Tierberatung, Christoph Simonnet
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